Guck mal, wer da kocht…

Kochen ist eine Angelegenheit mit starkem Gender-Bias. Jedenfalls wenn es um die Zubereitung der Mahlzeiten im Alltag geht. Es ist leicht, diesen Befund korpuslinguistisch abzubilden.

Foto von Edgar Castrejon auf Unsplash

Gibt man das Verb kochen in die Suchmaske für das Korpus der Gesprochenen Sprache im Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache (DWDS) ein, treten mit hoher Kontinuität von Jahrzehnt zu Jahrzehnt variierende weibliche Personenbezeichnungen als Kollokationen auf. Wohl ist es auch ein bisschen zufällig, welche Reden und Gespräche über Kulinarisches im jeweiligen Zeitraum im Korpus vertreten sind. Dass aber der Bedeutungsaspekt des weiblichen Genders den roten Faden für den einbettenden Kontext bildet, gibt Evidenz für eine stark vergeschlechtlichte häusliche Arbeitsteilung in Bezug auf das Kochen. Trotz zweier großer Frauenbewegungen im 20. Jahrhundert. Trotz Ausbau von Angeboten der Gemeinschaftsverpflegung. Trotz (oder wegen?) Corona.

Kochen um 1960

Kollokationen zum Verb kochen für Reden und Gesprächsdaten um das Jahr 1960 im DWDS-Korpus Gesprochene Sprache, ermittelt über DiaCollo

Kochen um 1980

Kollokationen zum Verb kochen für Reden und Gesprächsdaten um das Jahr 1980 im DWDS-Korpus Gesprochene Sprache, ermittelt über DiaCollo

Kochen um 1990

Kollokationen zum Verb kochen für Reden und Gesprächsdaten um das Jahr 1990 im DWDS-Korpus Gesprochene Sprache, ermittelt über DiaCollo

Kochen um 2000

Kollokationen zum Verb kochen für Reden und Gesprächsdaten um das Jahr 2000 im DWDS-Korpus Gesprochene Sprache, ermittelt über DiaCollo

Auch das Ergebnis einer entsprechenden Suchanfrage im geschriebenen öffentlichen Diskurs über das Deutsche Referenzkorpus DeReKo-2023-I hält in dieser Hinsicht wenig Überraschendes bereit. Als erste Personenbezeichnung erscheint Mutter (Rang 108) in der Liste der Kollokatoren zum Verb kochen inklusive aller Flexionsvarianten (koche, kochst, gekocht usw.), gefolgt von den Berufsrollenbezeichnungen Köche (Rang 116) und Küchenchef (Rang 156). Doch welche Kollokationen mit kochen belegen die oberen Ränge? Da Kollokatoren den Grad der syntaktischen Festigkeit einer Wortverbindung widerspiegeln, verwundert es nicht, dass Wörter aus festen Wendungen die Liste anführen: Mit dem Süppchen auf Rang 2 ist das der Fall: ein eigenes parteipolitisches Süppchen kochen lautet der zugehörige Phraseologismus. Und man ahnt, dass hier keine journalistische Rhetorik am Werk ist, sondern (zitierte) Politiker:innen höchst persönlich mit dieser Formel austeilen, und damit einen pauschalisierenden Vorwurf platzieren. Daher findet sich die Wendung bevorzugt in Parlamentsprotokollen und im Kontext wörtlicher Redewiedergaben.

Doch zurück zur Ausgangsfrage: Wer kocht? Geht man die DeReKo-Liste der Kollokationen Treffer für Treffer durch, findet sich auf Rang 18 mit der Volksseele eine Art Akteur, ein ungewöhnlicher, innerlichkeitsgetränkter, ein Kollektivakteur, versteckt in einem Kompositum: Das Volk wird metonymisch über die Volksseele bezeichnet. Beide Wörter haben die Patina des 19. Jahrhunderts, das eine national, das andere psychodymamisch. Irgendwie verstaubt wirkt die Bezeichnung Volksseele.

Es kochen die Volksseele, der Volkszorn und die Gerüchteküche

Das Kompositum Volksseele hat neben dem metonymischen (das Einzelne für das Ganze) auch einen metaphorischen Charakter (Innerlichkeit) und ist in seiner Referenz relativ fluide. Die Grimms versuchen die Volksseele noch vom Schein der Mystik zu befreien:

f., in der vorstellung des volkes als individuum begründeter ausdruck (s. volk 12 d): so darf man wohl, ohne etwas mystisches zu meinen, von einer volksseele sprechen „Freytag“ bilder (1859) 2, 403.

„VOLKSSEELE, f.“, Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/23.

Sie wird gegenwartssprachlich mit (rechts-)populistischen Äußerungen assoziiert, mitunter auch humorvoll gebraucht und schafft es bis ins Boulevard. 

Lasst die Volksseele kochen! – Eine Kunstausstellung gegen Rechtspopulismus

Stadthaus Ulm

Die Volksseele kocht: #Lindnerhochzeit | 11.7.2022

SWR2, 11.7.22, Kulturmedienschau

Ähnlich verbindet sich das Verb kochen kollokativ mit den Substantiven Volkszorn oder Gerüchteküche:

Im Land wütet wieder das Virus – und zugleicht kocht der Volkszorn hoch.

Mehr als Corona. Süddeutsche Zeitung, 10.07.2020, DWDS, https://www.dwds.de/wp/Volkszorn

Seit zehn Jahren kocht in der arabischen Welt wegen solcher Missstände der Volkszorn hoch, wie in Beirut.

Wenn Eliten versagen. Frankfurter Rundschau, 08.08.2020, DWDS, https://www.dwds.de/wp/Volkszorn

Außerdem kocht die Gerüchteküche, wen Trump in sein Kabinett berufen könnte.

Topthemen heute auf noz.de. Neue Osnabrücker Zeitung, 15.11.2016, DWDS, https://www.dwds.de/wp/Gerüchteküche

Zusammengefasst: Nicht nur, dass der Gebrauch des Verbs kochen insgesamt abnimmt, es tritt auch zunehmend in feste Wendungen ein und gewinnt dort eine übertragene nicht-kulinaristische Bedeutung wie in den Phrasen die Gerüchteküche oder der Volkszorn kocht. Ist also kochen im kulinarischen Sinne ausdrucksseitig ein Auslaufmodell? Und weitergedacht: Ist die abnehmende Frequenz ein Zeichen nachlassender Kochpraxis? Oder wird diese nur anders bezeichnet?

DWDS Verlaufskurse nach Textklassen geordnet

Grammatisch labiles kochen

Nehmen wir das Verb kochen einmal grammatisch unter die Lupe. Es handelt sich dabei um ein Verb aus der Gruppe labiler Verben. Diese haben zwei semantische Bereiche mit unterschiedlichen Subjekten. Einmal handelt es sich um eine aktiv kochende Person, die z.B. Suppe kocht, und einmal um eine Suppe, die kocht, d.h. die einfach vor sich hinkocht, weil sie aufgrund von Wärmezufuhr einem physikalischen Prozess unterliegt. Das sind semantisch zwei verschiedene Arten zu kochen. Oder grammatisch ausgedrückt: Person und Suppe befinden sich in unterschiedlichen syntaktischen Rollen. Die Volksseele und die Sparflamme kochen also auf andere Weise als die Person. Sie werden von einer „Kraft“ in diesen Zustand versetzt. Die IDS-Grammatik spricht Verben wie kochen daher einen Doppelstatus zu. Sie können einmal als kausatives Handlungsverb gebraucht werden mit einer Person als Akteur*in in Subjektfunktion und sie können als rezessives Vorgangsverb verwendet werden wie z.B. mit der Suppe als Subjekt. Rezessiv ist die Verwendung mit Suppe als Subjekt deshalb, weil eine Ergänzung wegfällt (vgl. Zifonun et al. 1997, 1332). Das Vorgangsverb kochen bleibt einstellig: Die Suppe kocht. Nichts und niemand ist sonst an dieser Verbszene beteiligt. Das transitive Handlungsverb regiert hingegen einen Akkusativ: Eine Person, die aktiv kocht, kocht z.B. eine Suppe (= Akkusativergänzung / Akkusativobjekt).

Wer von beiden kochte zuerst?

Vermutlich weil das transitive Verbschema mit den Akkusativverben für das Deutsche so typisch ist, geben Wörterbücher die transitive Variante zuerst an (jmd. kocht etw.), gefolgt von einer intransitiven Variante mit Agensrolle (jmd. kocht). An vierter Stelle erst erscheint im DWDS die resultative (auch ergative oder rezessive) Variante mit kochen als Vorgangsverb. Diese rezessive Variante allerdings hält Welke (2005, 220) für die ursprüngliche. Die Variante „jmd. kocht etw.“ soll also aus „etw. kocht“ hervorgegangen sein. Bestätigung für diese Hypothese liefert Ágel (2007, 77–81) über die Verstehenspräferenz von sein+PartzipII-Konstruktionen, die bei labilen Verben als Zustandspassiv (zur kausativen Variante) oder als Perfekt (zur rezessiven Variante) aufgefasst werden können. In einer studentischen Befragung hat er herausgefunden, dass der Großteil der von ihm abgefragten labilen Verben resultativ aufgefasst wird, so dass das zugehörige Verb rezessiv sein muss. Das heißt z.B. für trocknen:

Die Wäsche ist getrocknet wird als Perfekt zur intransitiven rezessiven Konstruktion „etw. trocknet“ aufgefasst.

Anders herum und als Ausnahme gilt dann das Verb verbrennen:

Das Holz ist verbrannt wird als Zustandspassiv zur Kausativkonstruktion „jmd. verbrennt etw.“ aufgefasst.

Eine Suchanfrage im DeReKo-2023-I liefert für kochen viele ambivalente Belege, die zwar resultativ auffassbar sind, für die aber dann im Kontext Akteure (gefettet dargestellt) genannt werden:

Hengst: Aber nein! Die ist gekocht. Gleich auf dem Kutter kommt sie vom Netz ins kochende Wasser. Ob eine Krabbe gut zu pulen ist, hängt nämlich auch davon ab, ob der Fischer gut Krabben kochen kann. U12/MAI.00223 Süddeutsche Zeitung, 03.05.2012, S. 10; EIN ANRUF BEI . . .


Der Kaffee ist gekocht, der Faden in der Nähmaschine gespannt: Marlene Freisberg (links) und Dorothea Gilles haben in Metternich das „kleine Nähcafé“ eröffnet. (RHZ11/DEZ.00362 Rhein-Zeitung, 01.12.2011, S. 26)

All diese Betrachtungen nähren den Verdacht, dass das Kochen als Bezeichnung für eine häusliche Praxis an Attraktivität verloren hat. Welche Bezeichnungen könnten hier einspringen? Ein aussichtsreicher Kandidat ist das transitive Verb zubereiten. Eine Suche nach verbalen Kollokatoren zu den Substantiven Mittagessen, Essen, Nudelgericht und Reisgericht im DeReKo-2023-I ergibt tatsächlich, dass ein (Mittag-)Essen eher serviert als gekocht wird (serviert: Rang 36, kochen: Rang 38), etwas seltener sogar zubereitet wird (zubereiten: Rang 81). Der Vergleich zwischen den Verben kochen und zubereiten zeigt im Semantischen Objektmodell (SOM) eine interessante Differenzierung: Lecker und köstlich wird es beim Zubereiten (unten links), dort ist auch das Servieren angesiedelt, das mit schmecken, Nachtisch und Dessert assoziiert ist. Speisen, die zubereitet werden, sind häufig Spezialitäten und Häppchen (unten Mitte), sie werden kredenzt und aufgetischt. Das Kochen dagegen nimmt sich etwas technischer aus: Kochen erfordert Umrühren, Aufgießen und Ablöschen und Abtropfen, beim Kochen wird gesalzt und manchmal (nebenbei) auch gebügelt und (ab-)gewaschen

Semantisches Objektmodell mit den Verben kochen und zubereiten im semantischen Vergleich. © Cyril Belica: Modelling Semantic Proximity – Contrasting Near-Synonyms (version: 0.21)

Also muss die Frage neu gestellt werden: Wer bereitet (etwas) zu? Wer serviert (wem etwas)? Die syntaktischen Muster aus dem DWDS-Wortprofil legen folgende Fragen nahe: Was wird zubereitet? Wer serviert etwas? Beim Verb zubereiten ist das Akk.-Objekt stark profiliert. Im DWDS-Wortprofil liegt ein deutliches Übergewicht auf den Mahlzeiten, Menüs und Spezialitäten, die zubereitet werden. Beim Servieren ist die Füllung von Subjekt- und Objektrolle ausgeglichen: Kellnerinnen und Kellner, Chefköche und Küchenchefs servieren Menüs, Drinks, Essen und Köstlichkeiten.

DWDS-Wortprofil für Subjekt- und Objekte zum Verb zubereiten
DWDS-Wortprofil für Subjekt- und Objekte zum Verb servieren

Manchmal aber liegt die Kraft der semantischen Differenzierung auch bei den fakultativen Satzgliedern, den Adverbialen. Ein Vergleich der Füllungen für die Modaladverbiale zeigt eine Überschneidung beim Hochwertadjektiv frisch in adverbialer Funktion (frisch serviert, frisch zubereitet) und lässt einen Unterschied deutlich hervortreten: Die Verbszene des Servierens ist stilistisch hochgradig professionalisiert und in Restaurants lokalisiert: Man serviert drinnen und draußen, mittags und nachmittags, sofort und separat, stilecht und auf Wunsch auch nebenan. Das Zubereiten hingegen ist mit Intimität und Genuss assoziiert: Zubereitet wird liebevoll und sorgfältig, schmackhaft und köstlich, schonend und delikat. Dies geschieht sprachlich im Passiv wie von Geisterhand: Es wird zubereitet! Guck mal, wer da zubereitet: KeineR (mehr) zu sehen.

Adverbialbestimmungen der Verben servieren (oben) und zubereiten (unten) im vergleichenden DWDS-Wortprofil

Zitierte Literatur

Ágel, Vilmos (2007): Die Commonsense-Perspektivierung von labilen Verben im Deutschen. In: Lenk, Hartmut E. H./Walter, Maik (Hg.): Wahlverwandtschaften. Valenzen – Verben – Varietäten. Festschrift für Klaus Welke zum 70. Geburtstag. Hildesheim/Zürich/New York: Olms, S. 65–88.

Welke, Klaus (2005): Deutsche Syntax funktional. Perspektiviertheit syntaktischer Strukturen. 2. Aufl. Tübingen: Stauffenburg.

Zifonun, Gisela/ Hoffmann, Ludger/ Strecker, Bruno (1997): Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bände. Berlin, New York: de Gruyter.

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