Klimadiät

Klima-Diät – „Klimadiät“– Klimatarier

Foto von Matthias Heyde auf Unsplash

Eine Diät ist, wenn überhaupt nötig, eine kurzfristige, eher unlustige Veranstaltung. Die Kompositionsfreudigkeit des Lexems Diät im Deutschen hingegen lässt vermuten, dass sich das Diätieren hierzulande einer gewissen Beliebtheit erfreut – zumindest der Diskurs darüber.

Welche Bezeichnungen für Diäten gibt es oder besser: wie viele?

Die Suchanfrage (*-Diät) ergibt im Deutschen Referenzkorpus DeReKo–2022–I (IDS Leibniz-Institut für Deutsche Sprache Mannheim, abgefragt über Cosmas2) 1.938 Varianten mit Bindestrich. Hinzu kommen jede Menge Zusammenschreibungen. Dabei handelt es sich meist um relativ geläufige und stärker lexikalisierte Komposita wie Nulldiät (786 Treffer), Frühjahrsdiät (185 Treffer), Mittelmeerdiät (184 Treffer), Radikaldiät (170 Treffer), Wunderdiät (102 Treffer) oder Blitzdiät (80 Treffer). Adhoc-Bildungen mit dem aus der Antike stammenden Wort Diät sind ebenfalls beliebt. Sogar eine Deutschland-Diät ist schon erfunden worden und schaffte es drei Tage vor Weihnachten 2022 in die Titelzeile einer Tagesschau-Nachricht. Gemeint war eine von Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir entwickelte Ernährungsstrategie, die dem Klima zugute kommen soll, indem Kantinen mehr regionale Kost anbieten und allerorts weniger Essen auf dem Müll landet. Mit 14 Treffern im DeReKo zwischen 2007 und 2021 ist der Ausdruck Klimadiät schon etwas etablierter.

Aber was soll eine Klimadiät sein?

Das Wort tanzt morphologisch aus der Reihe. Denn es hat eine ungewöhnliche Beziehung zwischen den beiden Bestandteilen. Meistens bildet der erste Bestandteil eine Spezifizierung des zweiten, also der Diät: Beispielhaft hierfür sind die in der öffentlichen Medienkommunikation hochfrequent erwähnten Formen Atkins-, Carb– und Paleodiät (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Die häufigsten Cluster mit dem Zweitglied diät auf der Basis einer  Suchanfrage (*-Diät) mit 1.938 Varianten und 6.682 Treffern im Deutschen Referenzkorpus DeReKo–2022–I (IDS Mannheim, https://cosmas2.ids-mannheim.de/cosmas2-web/), ausgewertet in AntCon 4.1.4

Aufmunternde Bestimmungswörter kommen vor in der Glyx-, Beach- oder Hollywood-Diät. Auch spezifische Lebensmittel(-gruppen) treten als Protagonisten von Diäten auf: Beispielhaft hierfür sind Bezeichnungen wie Kartoffel-, Kohlsuppen oder Eiweißdiät. Die umgekehrte Relation im Sinne von Fasten und Verzicht ist vor allem metaphorisch relevant: Zu nennen sind hier etwa die Handydiät, die Mediendiät oder auch die MüllDiät. Womit wir uns dem Klimathema wieder nähern. Die Idee von der Mülldiät startet politisch in den 1990er Jahren mit einer Kampagne namens „Mensch, mach Müll-Diät“. Sie kommt immer mal wieder auf, z.B. im Herbst 2021 mit einer Ausstellung in der Limburger Verbraucherzentrale mit dem Titel „Die Müll-Diät – wie wir Müll reduzieren und Plastik vermeiden können“. Was im Falle einer Müllvermeidung recht genaue Vorstellungen zur angestrebten Verhaltensänderung evoziert, gestaltet sich beim Stichwort Klima deutlich diffuser. Was bleibt, ist die Logik des Verzichts:

So macht es einen gewaltigen Unterschied, ob man Rindfleisch oder Schweinefleisch isst, besonders gut schlägt die Klima-Diät übrigens durch vegetarische Kost an, vorausgesetzt, man verzichtet auf Obst außerhalb der Saison und solches, das lange Flugreisen braucht.

(NEW07/DEZ.00021 NEWS, 06.12.2007, S. 36; Die große NEWS-Aktion, C02 -Diät: So helfen Sie dem Klima wirklich, Quelle: DeReKo–2022–I )

Radikal soll die Umstellung sein ganz nach dem Vorbild des Diäthaltens übergewichtiger Menschen:

Es hilft also nichts, ich muss mein Verhalten ändern, genau wie übergewichtige Menschen dauerhaft nur dann abspecken, wenn sie ihre Ernährung radikal umstellen. Sechs Wochen lang mache ich eine Klimadiät.

(Z10/FEB.00391 Die Zeit (Online-Ausgabe), 04.02.2010; Sechs Wochen Klima-Diät, Quelle: DeReKo–2022–I)

Aber vielleicht erst mal sechs Wochen zur Probe. Wer möchte schon dauerhaft Diät halten? Eine Ausstellung hingegen weist die Verzichtrhetorik der Metapher mutig zurück, und empfiehlt, Kreativität in der nachhaltigen Küche walten zu lassen. Daher wird hier die „Klimadiät“ mit distanzierenden Anführungszeichen versehen:

Die Ausstellung will Denkanstöße und Anregungen geben, die Ernährung klimabewusster zu gestalten. Die damit verbundene „Klimadiät“ bedeutet keineswegs den Verzicht auf Genuss, sondern den Verzicht auf überflüssiges CO2. Und an ein wenig Kreativität in der Küche erfreuen sich nicht nur der Magen und das Auge, sondern auch die Gesundheit.

(RHZ16/AUG.37661 Rhein-Zeitung, 25.08.2016, S. 18; Ehemalige Kaffeerösterei wird zum Ausstellungssaal, Quelle: DeReKo–2022–I)

Wie jede Metapher lädt auch die Metapher von der Klimadiät dazu ein, weitergesponnen zu werden: Wo Diät herrscht, ist der Jo-Jo-Effekt nicht weit.

Statt bei jedem Preisanstieg panisch zu werden, sollte Europa seine Klimadiät lieber so anlegen, dass die Menschen mit ihr leben können, und dann konsequent dafür sorgen, dass sie auch eingehalten wird.

(P21/SEP.02249 Die Presse, 20.09.2021, S. 2; Überall nur Schizophrene? Der Jo-Jo-Effekt im Klimaschutz, Quelle: DeReKo–2022–I)

Für diejenigen, die sich bemühen, ihre Lebensmittel regional zu wählen, weniger wegzuwerfen etc., kommt das typisierende Etikett gleich hinterher: Man hat es zu tun mit einem/einer Klimatarier/in. Lebens- und Ernährungsstile wollen eingeordnet werden. Klimatarier:innen stellen ihre Ernährung für das Wohl des Planeten um. Dass dies aber doch dauerhaft sinnvoll sein könnte, bildet die Diät-Metapher ebenso wenig ab wie die neue Personenkategorie Klimatarier. Das an eine außerirdische Spezies erinnernde Wortbildungsprodukt wurde vermutlich aus dem Englischen eingeführt, wo es auch in Verbindung mit diet vorkommt (vgl. Abb. 2).

Drei Tage in Folge stellten wir auf dieser Seite originelle, neue Wörter vor, die wir 2015 irgendwo aufgeschnappt oder gelesen haben. Nun gibt es Wörter, die wir übersahen, und ein solches wollen wir heute nachreichen. Es ist ein hübsches aus der Welt des Essens, kürzlich in der „New York Times“ zu entdecken, es lautet: „Climatarian“. Es ist in der angepassten Form „Klimatarier“ auch ins Deutsche eingedrungen, wie sich beim Googeln zeigt. Ein Klimatarier ist jemand, der möglichst klimaneutral essen will; ganz sicher verschmäht er/sie alles, was per Lastwagen oder Flugzeug von fern herangeschafft wurde.

(E16/JAN.00075 Tages-Anzeiger, 05.01.2016, S. 21; B-Side, Quelle: DeReKo–2022–I)
Abb. 2: Das Now Corpus verzeichnet 39 Belege für climatarian, abgefragt über https://www.english-corpora.org/now/

Für manche zeichnet sich hier ein neuer Trend ab:

Food-Trend Klimatarier: Immer mehr Menschen ändern ihr Essverhalten für die Umwelt

Aufgrund wachsender Sorge um den Klimawandel und seine Auswirkungen, ändern immer mehr Menschen ihre Ernährungsgewohnheiten, um die Umwelt zu schützen

(Marine Stewardship Counsel 20.09.22, https://www.msc.org/de/presse/pressemitteilungen/food-trend-klimatarier-immer-mehr-menschen-%C3%A4ndern-ihr-essverhalten-f%C3%BCr-die-umwelt)

Aber es ist nicht nur euphorisch, sondern auch skeptisch von einer neuen Ernährungsbewegung die Rede, der man unterstellt, die Welt retten zu wollen. Die allgemeine Diät-Phobie ist nicht weit, die angepasste Formel ökologisch korrekt folgt ihr auf dem Fuße.

Jetzt kommen die Klimatarier. Kann diese Diät die Welt retten? Wer ökologisch korrekt sein will, muss seine Essgewohnheiten umstellen. Eine neue Ernährungsbewegung will damit den Klimawandel stoppen.

(Bettina Weber 8.1.22 https://www.tagesanzeiger.ch/kann-diese-diaet-die-welt-retten-878337850529)

Essen gegen die Erderwärmung: Klimatarier zählen keine Kalorien, sondern CO2-Emissionen. Um ihren ökologischen Fußabdruck zu reduzieren, verzichten sie auf Fleisch, Butter oder Importware und greifen stattdessen zu saisonalen und regionalen Bioprodukten. Stoppt das den Klimawandel?

(Z19/APR.03316 Hannoversche Allgemeine, 27.04.2019; Der Foodabdruck)

Da die CO2-Emissionen der Nahrungsmittel selten auf der Verpackung angegeben sind, bietet eine App bei der Berechnung Hilfe. Nett gemeint, doch wo die Diätmetapher waltet, ist auch das Narrativ aus Schuld und Sühne nicht weit (Klimasünderin):

Unter www.klimatarier.com/de/CO2 Rechner kann man sich die CO2-Bilanz einer Mahlzeit einschließlich aller Zutaten ausrechnen lassen

(UN18/MAR.01343 Nürnberger Nachrichten, 17.03.2018, S. 6; Politisches Engagement nutzt // Das Ziel ist ehrgeizig // Eine Klimasünderin will sich bessern)

Am Ende steckt der Teufel im Detail. Himbeeren haben – kaum zu glauben – im gefrorenen Aggregatzustand eine bessere Bilanz:

Laut dessen CO2-Rechner auf Klimatarier.com verursachen 100 Gramm gefrorene Himbeeren 70 Gramm CO2, frische dagegen 120 Gramm – also gut 70 Prozent mehr.

(STE21/JUL.00113 Stern, 22.07.2021, S. 56; WIE GUT SIND HIMBEEREN AUS PERU?)

Wer die Challenge annimmt, hat aber nicht nur einen Mehrwert auf der Seite des Klimas, sondern auch, wie die folgende Stimme verspricht, auf der Seite des Geschmacks:

Klimatarier zu werden und seinen CO2-Foodabdruck zu verkleinern, hat also nicht zwingend mit Verzicht zu tun, sondern eher mit einer geschmacklichen Horizonterweiterung!

(Klimatarier Challenge – Klimafreundlich geht so einfach! – fafine by Anna Frost. Fafine By Anna Frost, 2016-10-12, https://www.dwds.de/r/?corpus=web&q=Klimatarier)

Mit der Quintessens „Wenig Fleisch, viel regionale Kost“ und dem Geschmacks- und Gesundheitsversprechen hat die klimatarische Ernährungsform die Diätrhetorik weit hinter sich gelassen. Für die Metapher der Klima-Diät stehen die Chancen auf einen Weg ins Lexikon hingegen schlechter. Ob sie ihres offensichtlichen Selbstwiderspruchs wegen bald wieder verschwunden sein wird?

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