Rococo en Miniature – kulinaristisch

Sie kennen „Rococo en Miniature“ nicht? So ging es auch mir – und so machte ich mich auf den Weg gen Rudolstadt, erklomm flinken Fußes den steilen Aufgang des früheren Residenzschlosses Heidecksburg. Und schon stand ich inmitten einer gar fremden Welt, anmutig, betörend, zum Kopfschütteln.

Einblicke in Schloss Perenz (Rococo en Miniature, Thüringer Landesmuseum Heidecksburg Rudolstadt)

Mich umgaben Abbilder der Gepriesenen Insel des Planeten Centus, verdeckt von der Venus, parallel zur Erde, daher am Firmament ungebührlich verdeckt. Dort, glaubt man den Sehenden Manfred Kiedorf (1936-2015) und Gerhard Bätz (*1938), hatten nach langen Kämpfen die beiden Königreiche Pelarien und Dionien Frieden geschlossen. Ihre Eliten waren nun eng verbunden, wetteiferten im ernsten Spiel des Zeremoniells, des Schlosses und Gartenbaus, des Theaters, der Umgangsformen; und, natürlich, des Kulinaristik. Ein schöner Traum, entstanden im thüringischen Sonneberg in den frühen 1950er Jahren, beharrlich verfolgt von zwei angehenden Schaufensterdekorateuren bis in ihr Alter. Sie gingen ihre unterschiedlichen Lebenswege, doch das Projekt einer imaginären Traumwelt verband sie, schlug sich nieder in einer vierstelligen Zahl kleiner aus Gips gefertigter, sorgsam gewandeter und bemalter Figuren. In diesem Reich der Freiheit gab es kein Proletariat, der Feudalismus der vorindustriellen Zeit gab jedem seinen Platz. Ober- und Unterbau, das war fern, geschichtliche Notwendigkeit gab es nicht, denn ein Reich der Poesie hat seinen eigenen Wert auch nach dem vermeintlichen Sieg des Kapitalismus.

Seit 2007 ent(z/r)ückt diese Dauerausstellung Besucher des einstigen Stammsitzes der Grafen, ab 1697 der Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt. Schwarzburg-Rudolstadt war ab 1871 einer der 25 deutschen Bundesstaaten, so wie Preußen, Sachsen, Bayern. Eingeteilt in Ober- und Unterherrschaft könnte man auf die Idee kommen, Bätz und Kiedorf hätten Irdisches in ihr Schaffen einfließen lassen; zumal die seit 1884 von Friedrich Adolf Richter (184r-1910) in Rudolstadt produzierten Ankerbausteine schon lange zuvor Kinderphantasie in Bauwerke umwandelten. Dass auch Christian-Jacques (1904-1994) in Sonneberg gezeigte Kostümfilmadaption von Stendhals (1783-1842) „Die Kartause von Parma“ einen Einfluss auf die Weltengründung hatte, können nur erdverwachsene Historiker einwerfen. Ebenso der Verweis auf Erfurt und vor allem Weimar, wo Bätz und Kiedorf im Ex-Kleinstaatenambiente gemeinsam ein Atelier besaßen, bevor sich ihre Wege 1960 gen Sonneberg und Berlin-Ost teilten.

Das königliche Speisezimmer in Schloss Perez (Rococo en Miniature, Thüringer Landesmuseum Heidecksburg Rudolstadt)

„Rococo en Miniature“ wird Besuchern seit 2007 allerdings in einem geziemten irdischen Umfeld dargeboten, denn die für ca. 400.000 Euro gekaufte Welt fand Platz in der ehemaligen Hofküche des Residenzschlosses. Die Gewölbe entstanden 1735, bargen aber nicht nur die Küche, sondern auch Vorratsräume, Weinkeller, Backstube, nicht aber die unverzichtbare Konditorei. Mehr als zwei Dutzend Bedienstete scharte der Küchenmeister hier um sich, um das Fürstenpaar, den Hofstaat und dessen Gäste standesgemäß zu beköstigen. 1918 endete diese Geschichte, beherbergt wurde das lokale Staatsarchiv, dann schon Museumsräume, ehe diese zum Musenort von König Talari III. von Pelarien und Königin Ondine von Dionien umgebaut wurden.

Hier endlich, in der Zusammenschau, versteht man den Zusammenhang des Ganzen, sieht ein Zeremoniell um Speise und Speisen. Die zehn Schlösser geben Einblicke in den Hofalltag, dessen Kern das gemeinsame Essen ausmacht. Es findet seine repräsentativste Ausprägung gewiss in der königlichen Speisekultur, in den prunkvollen Speisezimmern der Schlösser. Doch Bätz und Kiedorf lassen in dieser irrealen Welt alle teilhaben am Mahl, sind doch alle Teil ein und derselben Ordnung, die immer doch den Rahmen setzt für das tägliche Mahl.

Gesellige Festtafel abseits des Hochadels (Rococo en Miniature, Thüringer Landesmuseum Heidecksburg Rudolstadt)

Die vielen, vielen Figuren eint ihr Essensdrang, der Essenszwang. Wir sehen nicht allein die Feier, das Fest, die Zecherei und das Chambre Separee. Wir sehen die vielfältigen Übergänge, den Tanz, das Theater, hören Musik und Singen. All das öffentlich und privat, im Präsentierstil und im kleinen Nebenraum. Sorgsam und bedacht bekommen wir Einblick in das Zusammensein bei Tee und Konfekt, bei Schokolade und Kaffee. Getränke und Speisen begleiten den Alltag, sind notwendig und doch so viel mehr. Konsumtion steht am Ende, doch schicklich und mit Stil. Arbeit und Herstellen werden sichtbar, nicht nur gourmethaftes Tun. Bätz und Kiedorf zeigen uns jedoch auch die vielen Orte, die noch vielfältigeren Tätigkeiten, die notwendig sind, um zum Essen, zum guten und rechten Essen zu kommen. Wir sehen Vorratsräume, Irdenware, Glas und Porzellan, Herde und Regale, Kupfergeschirre und Spieße, Tischgeschirre und Damastdecken, Kerzen, Besteck und Tischaufsätze. Wir sehen die Einwohner dieser fernen Welten tätig, beim Bereiten von Brot, von Fleisch und natürlich von Suppe, ohne die man Pelariens Geschichte nicht verstehen kann. Selbst der Umwandlung der Speise, ihrem Übergang in den steten Fluss der Ausscheidungen werden wir gewahr – etwas, was wir heute schamhaft verbergen am vermeintlichen Ende des Prozesses der Zivilisation.

Sich auf all dies einzulassen, erforderte Beharrlichkeit, Tatkraft, Fantasie, Sinn für Nuancen, für die kleinen Unterschiede. Bätz und Kiedorf kitzeln uns, laden uns ein: Schaut genauer hin, versucht zu sehen. Kindlich verspielt, altersweis ernst findet man in diesem dem real existierenden Sozialismus abgetrotztem Paradies etwas, was wir selbst im gelungenen Essen, im geselligen Sein und auch in einer vernünftigen Ernährung umsetzen können – im Großen.

Literaturhinweise:

Miniaturwelten des Rokoko | Euromaxx- Leben und Kultur in Europa | DW | 02.03.2014

Helga Kämpf-Jansen, Rococo en  Miniature. Die Schlösser der gepriesenen Insel, hg. v. Thüringischen Landesmuseum Heidecksburg, erw. Neuaufl. Rudolstadt 2019.

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