Mandelmilch: Von der Herrenspeise zum Milchersatz

Wer kennt sie nicht, die wachsende Schar der Milchersatzprodukte. Hafer, Soja, diverse Nussarten und Mandeln bilden die Grundstoffe, der globale Markt soll 2028 mehr als 50 Mrd. $ betragen. Mandelmilch war der Vorreiter dieser Konsumwelle, die kalifornischen Mandelproduzenten ihr wichtigster Fürsprecher. Ende der 1990er Jahre konzentrierten sich 80% des Welthandels in ihren Händen, Blue Diamonds „Almond Breeze“ wurde zur Leitmarke des globalen Marketings. Asien, die USA und Afrika sind neben Europa die Hauptmärkte, Laktoseintoleranz, Veganismus und Klimaschutz ihre Leitmotive. Mandelmilch umgibt den Reiz des Neuen, des Zukunftsgewandten. Und doch handelt es sich um ein Getränk, das in anderer Form in Europa bereits im späten 18. und im 19. Jahrhundert allseits bekannt war.

„This is not Milk“: Mandelmilch als Aktionsware, Rewe, 29. März 2023 (Stefanie Waske)

Mandelmilch war damals eine Herrenspeise, die auf den Bällen und Festen des Adels gereicht wurde und auch bei bürgerlicher Geselligkeit Kühlung und Erquickung versprach. Zuckerbäcker und Konditoren lieferten sie, Feinkostläden boten sie an, Dienstboten und auch Hausfrauen bereiteten sie frisch im Haushalt. Mandeln wurden gekocht, gehäutet, vermahlen, mit Wasser verrührt, man ließ sie ziehen, siebte sie, servierte sie dann kühl. Das war nicht billig, denn die Mandel kamen aus Spanien, aus Sizilien, später auch aus der Provence. Mandelmilch war ein gesellschaftsfähiges Getränk, markierte Grenzen in der ständischen Gesellschaft, in der entstehenden Klassengesellschaft. Mandelmilch schied zudem die Herren und die Damen. Geselligkeit führte zusammen, die Getränke aber bildeten Ordnungslinien: „Für die Herren gab es Bier, doch in ziemlich beschränktem Maße, für die Damen Mandelmilch, da es nicht ‚fein‘ erschien, vor Herren Bier zu trinken“ (Münchner Neueste Nachrichten 1929, Nr. 15 v. 16. Januar, 19). Mandelmilch war weiblich, ein erfrischendes Getränk vor dem Aufkommen der Erfrischungsgetränke.

Häusliche Geselligkeit – mit Mandelmilch (Fliegende Blätter 78, 1883, 70)

Wie die meisten Lebensmittel dieser Zeit diente sie nicht allein Nährzwecken, war auch eine diätetische Speise. Mit Zucker versetzt diente Mandelmilch Kindern als „heilsame Arzeney“ gegen Brustschmerzen, bekämpfte Brechreiz und wirkte abführend (Anton Bach, Abhandlung über den Nutzen der gebräuchlichsten Erdgewächse […], Breslau und Hirschberg 1789, 37). Sie half insbesondere schwächeren, konstitutionell gefährdeten Menschen. Das galt auch noch ein Jahrhundert später, wurde sie doch Wöchnerinnen gereicht, galt als fiebersenkend, minderte Harnbeschwerden und den Durchfall. Entsprechend bereiteten Apotheker sie frisch zu.

Als Hausmittel wurde Mandelmilch langsam durch Pharmazeutika und Kräftigungsmittel verdrängt, bei Festen traten mit Kohlensäure versetzte perlende Getränke hervor. Sie blieb jedoch bis ins frühe 20. Jahrhundert gängig, Rezepte waren in den Kochbüchern enthalten. Generell nahm der Mandelkonsum schließlich zu. Das galt für Konditorenangebote und die immer wichtigere Weihnachtsbäckerei. Mandeln wurden zugleich ein wichtiges Zwischenprodukt. Drogerien bereiteten daraus Kosmetika, Fabriken versetzten damit Schokolade. Wichtiger aber wurden in den 1890er Jahren erstens die Säuglingskost, zweitens die Margarineproduktion.

Mandel- und Nussmilch, Mineralstoffe und Rohrzucker: Dr. Lahmanns Reformpräparat (Über Land und Meer 88, 1902, 789)

Pionierprodukt einer vegetarischen Säuglingsernährung wurde seit 1893 die „Vegetabile Milch“ des Naturheilkundlers und Sanatoriumbesitzers Heinrich Lahmann. Die Mischung aus Mandel- und Nussmilch war stark gesüßt (42% Rohrzucker), enthielt „Nährsalze“, insbesondere Kalzium und Natrium, war zudem fettreich. Das neue Produkt sollte die „Mehlschäden“ der damaligen Kindermehle vermeiden. Die „Vegetabile Milch“ wurde der Kuhmilch beigemengt, reicherte diese an, sollte sie zugleich verdaulicher machen. Das Pflanzenprodukt wurde eines der erfolgreichsten Reformprodukte dieser Zeit und etablierte sich weit über den engen Kreis der Lebensreformbewegung. Weitere Mandelmilchprodukte folgten.

Wirtschaftlich noch wichtiger war der Einsatz der Mandelmilch als Emulsion in der Margarineproduktion. Der Butterersatz bestand bis zur Jahrhundertwende noch vorrangig aus Rinderfett. Doch die führenden Anbieter fügten auch preiswerte Kolonialfette hinzu, meist Palm- oder Kokosfette. Ein 1898 dem Chemiker Hugo Michaelis gewährtes Patent erlaubte den Ersatz der zuvor meist üblichen Emulsionsmilch durch Mandelmilch, der Preis sank dadurch um 10%. Die holländische Firma van den Bergh nutzte diese Technik zuerst. Seit 1899 wurde „Sana“ als milchfreier Butter-Ersatz „mit feinster, süßer Mandelmilch“ beworben. Die Werbekraft der Herrenspeise war für das Billigprodukt erheblich, denn der Zusatz wurde beibehalten als die Clever Firma 1906 ihre erste Pflanzenmargarine „Sanella“ auf den Markt brachte.

Mittelpunkt des Frühstücks: Die Mandelmilch-Pflanzenbutter-Margarine Sanella (Badische Presse 1913, Nr. 424 v. 12. September, 4)

Vegetabile Säuglingsmilch und Margarine waren Massenprodukte, doch für die kleine Schar der Vegetarier waren sie schon um 1900 Vorboten einer, ihrer, Zukunftskost. Damals gegründete mittelständische Unternehmen, etwa die Hannoveraner Natura- oder die Hamburger Nuxo-Werke, boten nun verschiedene Mandelpasten an. Diese haltbaren Convenienceprodukte mussten lediglich noch mit Wasser vermengt werden, um Mandelmilch rasch zuzubereiten. Einen Schritt weiter noch ging der Thalkirchner Apotheker Andreae. Seit 1907 produzierte er konzentrierte „Mandelmilchpastillen“, ein Pressgemenge aus einem Drittel Zucker und zwei Dritteln Mandelmasse. Der Erfolg blieb regional begrenzt, ein Nischenprodukt für wenige.

Scheitern als Milchersatz 1915 (Münchner Neueste Nachrichten 1915, Nr. 590 v. 18. November, 5)

Das zeigte sich auch während des Ersten Weltkrieges. Mandelmilchkonzentrate wurden zwar noch als Liebesgaben an die Front geschickt, doch als Milchersatz konnten sie sich trotz akuter Versorgungsprobleme nicht etablieren. Als im November 1915 die Abgabe von Kaffeemilch und Sahne in den Cafés reichsweit untersagt wurde, versuchten in München die Wirte ihre teils streikenden Stammkunden durch Mandelmilch zu besänftigen. Anfangs war der Zuspruch rege, doch dann bröckelte er: Die „von den Cafétiers als Notbehelf verwendete Mandelmilch eignet sich nach unseren Erkundigungen wohl einigermaßen für Kakao und Schokolade, beim Kaffee dagegen will sich das Publikum nicht an die Verwendung von Mandelmilch gewöhnen; diese beeinträchtigt zwar den Kaffeegeschmack nicht, aber es fehlt der ausgesprochene Milchgeschmack“ (Münchner Neueste Nachrichten 1915, Nr. 587 v. 17. November 3).

Mandelmilch als vegetarisches Nischenprodukt (Vegetarische Warte 62, 1929, 47)

Auch in der Zwischenkriegszeit konnten sich entsprechende Mandelmilchprodukte nicht breiter etablieren – mochte es auch als Getränk für Rohkosttage empfohlen werden, mochten fettlösliche Vitamine enthalten sein. Mandelmilch war kaum mehr Festspeise, nur noch selten in Restaurants erhältlich. Rezepte fanden sich weiterhin in Kochbüchern und Frauenzeitschriften, vornehmlich als ergänzendes Sommergetränk. Dazu kam eine gewisse Präsenz als Krankenkost.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand die Mandelmilch auch aus den Kochbüchen, blieb trotz Kühltechnik ein Nischenprodukt für Gesundheitsbewegte und Vegetarier, erhältlich im Reformwarenhandel. Aus der Herrenspeise war endgültig ein Milchersatz geworden, trotz einer bis weit in die antike Zeit zurückreichenden Geschichte, die vom Adel und dem Bürgertum im 19. Jahrhundert zu neuen Höhen geführt wurde. Es bedurfte kapitalkräftiger multinationaler Unternehmen, um es in veränderte Form, mit ganz anderer Werbesprache, neu einzuführen. Dass dabei das kulinaristische Umfeld kaum mehr Bedeutung hat, ist ein typischer Kollateralschaden der Ernährungsgeschichte.

Literaturhinweise:

Benita Auffinger, Vegane Milchprodukte, Oberstdorf 2014.

Uwe Spiekermann, Mandelmilch – Anfänge eines „Megatrends“ (2023)

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